Seeschlangen (Hydrophiinae)
Die Gruppe der Seeschlangen umfasst nach bisherigem Kenntnisstand eine Gruppe von 56 marinen und semi-marinen Arten, die ausnahmslos alle in die Kategorie der Giftschlangen einzuordnen sind. Seeschlangen gehören zu den Reptilien und leben überwiegend im Meer, obwohl sie über ihre Lungen atmen. Aufgrund der großen Verwandtschaft werden Seeschlangen zu den Giftnattern (Elapidae) gezählt, dabei gelten die australoasiatischen Giftnattern wie etwa Braunschlangen, Schwarzottern und Taipane zu den nächsten Verwandten der Seeschlangen. Viele maritime Arten der Schlange gelten bis heute als nur sehr wenig erforscht und es gibt nur wenig Erkenntnisse über ihre Lebensweise.
Inhaltsverzeichnis
Vorkommen
Die meisten Seeschlangen-Arten kommen in den tropischen Meeres-Regionen des Pazifischen und Indischen Ozeans vor.
Die Schlangen bewohnen demzufolge Gebiete um den Persischen Golf, weite Küstengewässer Japans und die Küsten der großen
Inseln in Südostasien sowie die Meeresküste Australiens. Die bekannten Seeschlangen-Arten beschränken sich auf
Verbreitungsgebiete mit maximal 3,5 Prozent Salzgehalt im Wasser. Aus diesem Grund findet man im Roten Meer, das
einen Salzgehalt von mehr als vier Prozent im Wasser hat, keine Schlangen. Außer der nahezu überall heimischen
Plättchen-Seeschlange (Pelamis platurus() trifft man alle anderen Arten der maritimen Schlangen in der Nähe d
er Küste an. Die anpassungsfähige Plättchen-Seeschlange konnte sich in den letzten Jahrzehnten immer weiter in
Richtung der Insel Madagaskar, Südost-Afrikas und sogar an die tropischen Regionen der Westküste Amerikas ausbreiten.
Diese Schlangenart wurde bereits mehrere Male im Panama-Kanal gesichtet. Sollte sich die Schlange als Neozoon
durch den Panama-Kanal bis in die Karibik verbreiten, könnte dies unter Umständen ein großes Problem für das
dortige Ökologische System und die dort lebenden Arten darstellen.
Als die giftigste und bekannteste Seeschlangen-Art gilt die Dubois´ Seeschlange, die bis zu anderthalb Meter lang
werden kann und weiße Flecken auf schwarzen Schuppen trägt. Die Bisse der Dubois´ Seeschlange sind, wie auch die der
anderer Seeschlangen-Arten, oft kaum zu spüren, aber hochgiftig. Die schönsten Seeschlangen-Arten sind die
Plattschanz-Seeschlangen. Ihre Färbung reicht von schwarz-weiß gestreift, leuchtend gelb und orange-rot.
Die überwiegende Mehrzahl der Seeschlangen-Arten lebt in den flachen Gewässern vor den Küsten und häufig in den
Gebieten von Flussmündungen. Einige Arten schwimmen die Flüsse hoch und dringen auf diese Weise sehr weit in das
Landesinnere vor, jedoch ist bisher nur eine Art bekannt, Hydrophis semperi, die auf Dauer im Süßwasser
leben kann. Der Lebensraum dieser Schlangen-Art beschränkt sich auf den See Taal auf der philippinischen
Insel Luzon.
Äußere und innere Merkmale
Die meisten Arten der Seeschlangen können eine Körperlänge von etwa 1,2 und 1,4 Metern erreichen. Darüber hinaus gibt
es jedoch einige wenige Arten wie die Hydrophis spiralis (2,75 Meter) oder die Hydrophis cyanocinctus
(2,5 Meter), die über zwei Metern lang werden können. Dabei können die Weibchen meist deutlich länger werden als die
Männchen, die eine etwas gedrungene Körperform haben. Das Gewicht der Schlangen variiert aufgrund der Art sowie den
äußeren Einflussfaktoren wie Futterangebot und Fortpflanzung sehr stark. Auch das Geschlecht beeinflusst das
Körpergewicht. Maritime Schlangen sind überwiegend schlanke Reptilien – die Gestreifte Seeschlange
(Laticauda colubrina) beispielsweise erreicht bei einer Körperlänge von etwa 1,8 Meter ein Gewicht von 1 bis
1,3 Kilogramm.
Wie ihre Verwandten an Land variieren die Seeschlangen-Arten in ihrer Färbung und Musterung der
Schuppen sowie im Bau ihres Körpers. Einige Schlangen sind lang und schlank, während andere Arten wiederum eine
kürzere und kräftigere Körperform (Astrotia stokesii) besitzen. Auch die Form des Kopfes unterscheidet sich
von Art zu Art sehr. Viele Arten der Seeschlangen tragen leuchtende Querstreifen, die sie deutlich als ungenießbar
oder giftig für Fressfeinde kennzeichnen. Trotz ihrer Verwandtschaft zu den an Land lebenden Schlangen unterscheiden
sich Seeschlangen aufgrund ihres Lebens im Meer in vielen Merkmalen von anderen Schlangen. Dabei besitzen alle
Seeschlangen eine seitlich abgeflachte Schwanzspitze, die ihnen eine leichte Fortbewegung im Wasser ermöglicht.
Zudem haben Seeschlangen bis auf wenige Arten, die sich auch an Land fortbewegen können (Ventralia-Arten),
eine kleinere Anzahl an Bauchschuppen, da sie diese im Wasser nicht benötigen. Darüber hinaus ermöglicht den im
Salzwasser lebenden Seeschlangen eine kleine Drüse, die sich unter der Zunge der Tiere befindet, das Ausscheiden
von überschüssigem Salz im Körper. Ein weiterer Unterschied der Seeschlangen zu den Landschlangen ist der stark
vergrößerte rechte Lungen-Flügel der Tiere. Dieser Lungen-Flügel reicht bis in die Spitze des Schwanzes der Schlangen
und übernimmt als hydrostatisches Organ das Auf- und Abtauchen der Tiere. Hinzu kommt, dass Seeschlangen ihre
Atmungslöcher wie Ventile vor eindringendem Wasser verschließen können. Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass
die Tiere zudem in der Lage sind auch über die Schuppen der Haut unter Wasser Sauerstoff aufzunehmen, um ihre
Versorgung mit Atemluft sicherstellen zu können.
Leben im Meer
Alle maritimen Schlangen atmen über Lungen, weshalb sie regelmäßig an die Wasseroberfläche schwimmen müssen, um ihren Bedarf an Sauerstoff zu decken. Die meisten Arten der Seeschlangen können dabei im Durchschnitt ein bis zwei Stunden ohne Aufzutauchen im Wasser verbringen. Jedoch schaffen es auch einige Arten bis zu acht Stunden unter Wasser zu bleiben. Dabei sind bei den Seeschlangen Teile der Lunge vom Gasaustausch ausgeschlossen, welche als oben genanntes hydrostatisches Organ den Auftrieb des Reptils regulieren. Durch dieses Organ können einige Arten der Seeschlange in große Tiefen bis zu 100 Meter hinabtauchen. Viele Seeschlangen-Arten lassen sich in warmen Strömungen durch das Meer tragen und legen so große Entfernungen zurück. Seeschlangen bewegen sich mit deutlichen Schlängel-Bewegungen ihres Körpers schwimmend durch das Wasser. Der am Ende abgeflachte Schwanz der Schlangen dient dabei als wirkungsvolle Flosse.
Nahrung der Seeschlangen
Wie fast alle Schlangenarten sind auch im Meer lebende Schlangen Beutejäger und flinke Räuber. Seeschlangen ernähren sich meist von Fischen, aber es kommen auch Nahrungsspezialisten unter den Reptilien vor. Viele Schlangen fressen eine Mischung aus Laich, Fischen, Muscheln oder Kopffüsslern. Die meisten Seeschlangen-Arten jagen ihre Beute bis zu einer Tiefe von etwa 30 Metern. Viele Arten der Seeschlangen jagen dabei auch in der Nacht, da die Schlangen ihre Beute durch ihren äußerst feinen Geruchssinn aufspüren können. Seeschlangen sind wie ihre an Land lebenden Verwandten in der Lage große Beutetiere zu schlucken, die oft mehr als das doppelte ihres Körperumfangs besitzen. Im Meer lebende Schlangen jagen sowohl in offenen Gewässern, als auch zwischen Felsen, Korallen und Algen. Einige Arten stöbern ihre Beute in engen Höhlen und kleinen Verstecken zwischen Felsen auf.
Fortpflanzung
Bis auf eine Ausnahme leben Seeschlangen ihr gesamtes Leben im Meer. Hier gebären sie auch ihre lebenden Jungen, die sich ab ihrer Geburt selbstständig fortbewegen und versorgen können. Die Ausnahme bilden die Plattschwänze (Laticauda-Arten), die ihren maritimen Lebensraum zur Ei-Ablage verlassen und diese dann an Land ablegen. Auch außerhalb der Ei-Ablage, wie beispielsweise zur Paarungszeit und in Ruhepausen, kann man diese Art an Land antreffen. Plattschwanz-Seeschlangen treffen sich zur Paarungszeit oft zu Tausenden jedes Jahr an ihrem Geburtsort, um sich fortzupflanzen. Die Weibchen kehren zur Ei-Ablage an die Orte zurück, an denen sie selbst geschlüpft sind, um ihre Eier auf sandigem Boden abzulegen. Brutpflege betreiben die meisten Seeschlangen-Arten jedoch nicht.
Natürliche Feinde
Die im Meer lebenden Schlangen haben aufgrund ihrer besonders hohen Giftigkeit außer dem Menschen keine wirklichen Fressfeinde, die ihnen gefährlich werden können. Man geht zwar davon aus, dass Seeschlangen gelegentlich Beute von Haien oder Walen werden, jedoch fehlen für dieses Verhalten stichhaltige Beweise. Einige Hai-Arten wie beispielsweise der Tigerhai soll gegen das Gift der Seeschlangen eine Immunität ausgebildet haben. Auch Seeadler können Schlangen gefährlich werden und diese fressen, wenn die Schlangen sich zu nah an der Wasseroberfläche aufhalten.
Hohe Giftigkeit der Seeschlangen
Seeschlangen sind äußerst neugierige Tiere, die nicht selten auf unbekannte Objekte wie Boote oder auch Taucher zu
schwimmen, um diese zu erkunden. Dabei gelten diese Schlangenarten als sehr friedfertig und nicht sehr bissfreudig.
Jedoch tragen alle Arten der maritimen Schlangen hochwirkungsvolle Gifte in ihren Giftzähnen, weshalb die Schlangen
eine ernstzunehmende Gefahr für Taucher und Schwimmer sind. Besondere Vorsicht ist hier in der Paarungszeit der
Schlangen geboten.
Der Giftapparat der maritimen Schlangen besteht aus Giftdrüsen, die im Laufe der Evolution
aus Speicheldrüsen gebildet wurden. Diese Giftdrüsen sind durch einen Giftkanal mit den nicht beweglichen Fangzähnen
im Oberkiefer der Tiere verbunden. Durch diese Giftzähne können die Tiere das Gift in ihre gebissene Beute abgeben.
Die Giftzähne der Seeschlangen sind wesentlich kleiner als die ihrer am Land lebenden verwandten Giftnattern, weswegen
das Opfer den Biss oftmals nicht spürt. Das farblose, zähe Giftgemisch der Schlangen besteht aus Neurotoxinen
und Myotoxinen.
Die von den Schlangen produzierten Toxine dienen den Tieren vornehmlich zum Beutefang und
zur Verteidigung. Durch das Gift wird die Beute in einer kurzen Zeit bewegungsunfähig. Das Gift selbst wirkt sehr
stark und schnell, da auch die Beutetiere meist flinke Fischarten sind. Dabei produzieren Seeschlangen eine geringe
Menge ihres Giftes, welches trotzdem zu den stärksten bekannten Schlangengiften gezählt wird.
Die meisten tödlich
verlaufenen Bisse von Schlangen geschehen in den Fischerdörfern Südostasiens, da dort die Schlangen oft unvorsichtig
mit der Hand gefangen werden und keine Gegengifte (Antivenine) in den Dörfern vorhanden sind. Die Schlangen
beißen aber auch häufig zu, ohne Gift in das Opfer zu injizieren. Nachdem ein Mensch von einer Seeschlange gebissen
wurde, können nach einer bis zu wenigen Stunden erste Symptome beim Opfer auftauchen. Neben allgemeinem Unwohlsein
wie Kopfschmerzen, Durchfall, Übelkeit und Schwindel, können Muskelschmerzen und das Steifwerden von Muskeln
einsetzen. Die Myotoxine schädigen das Gewebe an der Bissstelle des Opfers so massiv, dass die Gewebe-Schädigung
zu einer Schädigung der Nieren bis hin zum Versagen der Nieren führen kann. Hinzu kommt, dass die Myotoxine auch
den Herzmuskel des Opfers schädigen können, was einen zum Herzstillstand nach sich ziehen kann. Nach den ersten
Symptomen wirken die im Giftgemisch befindlichen Neurotoxine im Körper und rufen eine fortschreitende Lähmung hervor,
die bis zur Atemlähmung und Tod des Opfers führen kann. Für die meisten Seeschlangen-Arten stehen jedoch hoch wirksame
Antivenine zur Verfügung, die bei vielen verschiedenen Gattungen der Seeschlangen eingesetzt werden können.
Nutzung der Seeschlangen durch den Menschen
Seeschlangen werden als Fleisch- und Lederlieferanten besonders an der Küste der Philippinen und in Südchina vom
Menschen gejagt. Die Schlangen werden dabei in unterschiedlicher Form gegessen: in Japan roh mit Soja-Sauce,
in Südostasien eher gebraten oder gekocht. Die Schlangen gelten als Aphrodisiakum und werden aus diesem Grund oft
sehr stark bejagt. Noch treten die Seeschlangen jedoch in einem so hohen Maße in ihren Lebensräumen auf, dass eine
Gefährdung der Bestände nicht zu erwarten ist. Lediglich der Fang für die Lederproduktion auf den Philippinen
bedroht die Seeschlangen-Populationen in den Küstengewässern der Inseln, da im Meer lebende Schlangen sehr ortstreue
Tiere sind. Viele Seeschlangen enden zudem als Beifang auf Garnelen-Kuttern und großen Fisch-Schleppern und werden
dabei in Millionenhöhe getötet. Die Auswirkungen auf die Bestände der verschiedenen Arten wurden bis heute nicht
erforscht.
Leder von maritimen Schlangen spielt auf den Märkten der Philippinen eine große Rolle. Auf den
philippinischen Inseln stehen die Seeschlangen nicht unter dem Schutz der örtlichen Naturschutz-Behörde, die den
Handel mit wilden Tieren reguliert und den Verkauf von allen anderen Reptilienarten außer den Seeschlangen verbietet,
da die Zuständigkeit für Schlangen in die Fischerei-Behörde fällt. Somit sind das Fangen und die Vermarktung von
Schlangen auf den Philippinen nicht verboten, was zeitweise zu einem starken Rückgang einiger lokaler Arten
führen kann.